Bisher bewältigt: 3005,45
Santiago de Compostela – Cap Fisterra (das „Ende der Welt“)
- 95,41 km
- 22,0 km/H Durchschnittsgeschwindigkeit
- 4 Stunden 10 Minuten Fahrtzeit
- 1194 Höhenmeter
- 2687 Kalorien pro Fahrer verbraucht
Selbst die beeindruckenste Reise, das intensivste Erlebnis findet eines Tages sein Ende.
Jetzt, da die Sonne allmählich beginnt, sich über dem „Ende der Welt“ zu senken, kommt dieses Bewusstsein klar zu Tage.
Der wohl emotionalste und zugleich letzte Abschnitt unseres gemeinsamen Weges geht hier zu Ende, an der Küste des mächtigen, atlantischen Ozeans.
Es sind Momente wie dieser, an denen man sich als Mensch so unvorstellbar klein und gleichzeitig endlos befreit fühlt.
Doch auch der heutige, finale Tag der Tour musste erst noch beginnen und begangen werden.
Ein besonderer Tag beginnt in der Regel auch besonders – so auch dieser. Der majestätische Sonnenaufgang (von uns erlebt um 07:30 Uhr), der uns morgens willkommen hieß, machte das Aufstehen (fast) leicht.
Das gesamte Team sollte sich kurz darauf mit stolzgeschwellter Brust auf dem Weg in die Innenstadt von Santiago de Compostela machen – gemeinsam wollten wir unseren Einmarsch in die heilige Stadt zelebrieren. Unser erster Weg führte uns zum Pilgerbüro, einen Steinwurf von der imposanten Kathedrale entfernt. Eine lange Schlange sollte sich uns offenbaren, auch wenn die Stimmung innerhalb selbiger niemals angeheizt, sondern vielmehr äußerst gelöst war. In der Warteschlange, die sich bis in den 1.Stock des Gebäudes ziehen sollte, wurde gelacht, getratscht und sogar musiziert, gesungen und applaudiert – ein Jakobspilger sorgte im Stiegenhaus mit Mundharmonika bewaffnet für Kurzweil und gute Stimmung.
„Schau, die san von Graz weggangen!“ – diesen Satz vernahmen wir direkt hinter uns, als wir auf die Ausstellung der begehrten Pilgerurkunde warteten. Michael und Ferry aus Fürstenfeld, die sich hinter uns eingeordnet hatten (ein weiteres Kapitel im „Buch der Treffen mit Landsleuten“ während unseres Trips) sollten sich als sehr amüsante Gesprächspartner entpuppen und auch einiges an Aufschlüssen über den Fußweg geben. Einen schönen Gruß an die beiden und Gratulation zum Abschluss der Pilgerreise! Bienvenidos a Santiago!
Nach der Erteilung der Pilgerurkunde „Compostela“ und des letzten Stempels im Pilgerpass überbrückten wir die Zeit zur Pilgermesse mit dem Besorgen diverser Mitbringsel für zuhause - hierbei sei erwähnt, der Pilger wird in Santiago keineswegs ausgenommen, vielmehr sind die Preise für diverse Devotionalien sehr moderat.
Die bereits erwähnte Pilgermesse sollte zu den absoluten Highlights der gesamten Reise werden. Die Kathedrale von Santiago, mit etwa 2000 Menschen fast bis zum Bersten gefüllt (davon zahlreiche junge Leute), verbreitete ihren besonderen Geist erstmals völlig unverblümt. Welche Kirche auf der Welt kann von sich behaupten, bereits vor 12:00 Uhr an einem Wochentag ihre Tore unter Aufsicht von Security sperren zu müssen, vor lauter Andrang der Pilger? In mehreren Sprachen wurde den Anwesenden der Segen erteilt, bevor der legendäre „Botafumeiro“, ein 50 kg schweres Weihrauchfass, an einem langen Seil durch das Querschiff der Kathedrale katapultiert wurde – eines der bekanntesten Bilder aus der Jakobs-Kathedrale in Santiago de Compostela. Eine besondere Ehre in jedem Fall, denn normalerweise kommt der Botafumeiro nur bei ganz speziellen Anlässen zum Einsatz.
Offensichtlich tief berührt von der Kraft der Pilgergemeinschaft und der Aura der Stadt fiel es unsern unerschütterlichen Pedalrittern sichtlich schwer, sich für den weiteren Etappentag zu motivieren. Auch die Tatsache, dass der galizische Himmel sich eher bedeckt und unfreundlich gab, erleichterte die Aufgabe nur bedingt.
Um 14:30 begannen unsere letzten knapp 100 Kilometer Richtung Cap Fisterra, welches sich zum emotionalen Höhepunkt des Tages entwickeln sollte. Doch alles zu seiner Zeit.
Zunächst sollte die Radlerriege noch eine finale Prüfung durch den Geist des heiligen Jakobus erwarten – zu der stetig auf und ab führenden Straße, deren Steigungen und Abfahrten sich Sinus-artig abwechseln sollten, gesellte sich ein weiteres Phänomen. Kälte, Regen und Wind sollte uns Cap Fisterra entgegen werfen, bevor wir unsere Reise endgültig abschließen konnten. Und wäre es noch nicht genug gewesen, hatten wir auch noch mit dem stetig zunehmenden Verkehr zu kämpfen. Wie Hiob müssen sie sich gefühlt haben, von höheren Mächten geprüft, unsere eifrigen „Ciclistas“.
Erwähnt sei hier noch, und das möchte ich in Erinnerung wissen, dass heute nicht einmal das sonst so obligatorische Cola Platz fand sondern durch einen wohlschmeckenden Pfefferminztee ersetzt wurde. „Ersetzt“ ist auch ein gutes Stichwort bezogen auf die Kleidung unserer Radler, denn das völlig durchnässte Sportgewand musste zwischendurch sogar gegen trockene „Mode“ getauscht werden.
Und dann, der entscheidende Moment, an dem es allen klar wurde, dass wir unser Ziel nun bald erreicht haben werden: Kurz vor der Halbinsel von Fisterra brach die Sonne wie ein stählernes Schwert durch den morsch gewordenen Schild der Wolken und erleuchtete die letzten Kilometer unseres Weges.
Es gibt Momente, wo auch ein mittlerweile „alter Hund“ auf dem Gebiet des „bloggens“ die Waffen strecken muss, weil er einfach nicht weiß, wie er gewisse Emotionen in Worte fassen soll. Solch ein Moment bemächtigte sich unser beim Anblick des mächtigen Atlantik, der sich schier unendlich zu unseren Füßen ausbreiten sollte. Gerüchten zufolge war der Blick so klar, dass man am Horizont sogar das Empire State Building sehen hätte können ;) (ist uns schon bewusst dass es so wahrscheinlich nicht gewesen sein wird, aber in solch einem Gefühlsrausch ist man bereit, fast alles zu glauben).
Nach einer Phase des inneren Friedens, der seelischen Ausgeglichenheit, sollten schließlich und endlich doch die Emotionen mit uns durchgehen.
„So ein Tag, so wunderschön wie heute…“ inbrünstig intoniert vom Camino-Team sollte das Kap erfüllen, wie viele solcher Freudenmomente wird der ehrwürdige Nullpunkt des Jakobsweges über die Jahrhunderte wohl erlebt haben?
Ich könnte ewig so weiterschwärmen, aber dabei fällt mir auf, dass ich einen Blogeintrag schreibe und kein Buch…
Wir wollen euch alle herzlich von unserem letzten Campingplatz kurz nach Corcubión, direkt am Atlantik, grüßen und euch noch eines ehrlich sagen:
Ihr kennt sicher alle das Gefühl aus verschiedensten Situationen, wenn einem aus einem besonderen Erlebnis heraus die Luft wegbleibt und man nicht weiß, was man sagen, schreiben oder sonst irgendwie mitteilen soll. Genau so empfinden wir zurzeit, wir (alle!) müssen das erlebte wohl selbst erst noch gründlich verdauen.
Morgen geht’s wieder Richtung Heimat! Wir freuen uns wieder darauf, aber eine Träne im Knopfloch bleibt doch.
euer Jakob
Für das
TEAM CAMINO 2009
P.S.: Dies ist noch nicht der letzte Blogeintrag! Auf die angekündigte, ultimative Zusammenfassung dürft ihr euch noch freuen, also bleibt uns noch etwas treu! Am Montag, dem 3.August 2009 ist es soweit!
Danke vielmals für euer Interesse, es war mir eine Ehre, für euch zu berichten!